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Der Hüteschäfer

365 Tage an der frischen Luft, eng verbunden mit Tieren und Landschaft: Hartwig Möller ist Schäfer in der Rhön.

„Die Schäfereien sterben aus“. Die pessimistische Aussicht von Hartwig Möller scheint so gar nicht zur Idylle zu passen an diesem stillen, sonnigen Sommermorgen im Naturpark Bayerische Rhön inmitten saftiger Wiesen und knorriger Bäume. Mit seinen beiden Hunden führt der 62jährige Hüteschäfer seine 800 Württemberger Merinolandschafe vom Nachtlager auf eine benachbarte Weidefläche. Der muntere Schafpudel Benno gebietet der Herde temperamentvoll, wo es langgehen soll. Mohr unterdessen setzt eher ruhig, aber wachsam die Grenzen. So zieht der Haufen frei über das frische Gras. Während Hartwig Möller den Zaun neu zieht, hat er sie alle im Blick, Hunde wie Schafe gleichermaßen. Er schickt scharfe Befehle, wenn es nötig ist. Der Mann kennt seine Tiere. Und die Schäferei seit Kindesbeinen.

Die Brüder seiner Großmutter waren Schäfer. Die Schere, mit der seine Oma die Schafe schor, bewahrt er noch heute auf. In der Gegenwart erfolgt die Schur freilich mit dem elektrischen Schafscherer. Gleich nach der Schule Schäfer zu werden war damals für Hartwig Möller zwar nicht möglich, weil die Schäferschule in Wettin an der Saale zu weit vom Heimatdorf in der Hochrhön entfernt war. So lernte er das Handwerk mit Tieren zunächst in einer Schweinezucht. Doch seit 20 Jahren ist er Hüteschäfer, mit Leib und Seele. „Unbedingt Naturverbundenheit“, beginnt er die Aufzählung dessen, was ein Schäfer an Voraussetzungen mitzubringen hat. Man muss gut mit sich allein sein können, nicht viel reden müssen, 365 Tage im Jahr arbeitsbereit sein, bei Wind und Wetter draußen unterwegs, anpacken können, Liebe zum Tier hegen. Dem Mutterschaf bei der Geburt zu helfen, wenn es erforderlich ist, gehört ebenso zu den Aufgaben eines Schäfers, wie die Schur, die Klauenpflege, das Schlachten. Ob ein Tier krank ist, sieht Hartwig Möller von Weitem daran, wie es sich in der Herde bewegt, wie es frisst.

Wie er auf seiner Schäferschippe gestützt ins Weite schaut, gibt ein bukolisches Bild ab – doch tatsächlich ist er in hohem Maße aufmerksam und wachsam. Wanderer, Radfahrer E-Biker, fremde Hunde, sogar Autofahrer sind auf den Rhönauen unterwegs, vielfach unerlaubt, und nicht immer sind es harmonisch verlaufende Begegnungen. Auch andere Konflikte trüben das Bild: Schmales Geld und ausufernde Bürokratie sind nur zwei Gründe, warum kaum noch junge Leute Schäfer werden wollen. Schier undenkbar, als Familienvater ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften. Reglementierungen und Billigkonkurrenz machen dem Berufsstand schwer zu schaffen. Dabei sind Hüteschäfer ausgesprochen wichtig und wertvoll für den Natur- und Landschaftsschutz. Etwa für die Bodenpflege auf den Rotationsbrachen im Natur­park Bayerische Rhön – wertvolle Biotope, auf denen seltene Pflanzen wachsen – leisten die Merinolandschafe mit ihrer vorgegebenen und definierten Weidung einen wichtigen Beitrag für den Artenschutz. Sie grasen behutsam und hinterlassen wertvollen Dung.

Das Einkommen aus der Flächenpflege einerseits und aus der Vermarktung der Produkte der widerstandsfähigen, fruchtbaren Woll- und Fleischschafe andererseits könnte eine gute Existenzgrundlage sein – wenn nicht die Auflagen und der ruinöse Preisdruck wären. „Hier sollte die Politik umdenken und steuern, um den Schäferei-Nachwuchs zu erhalten.“ Für Hartwig Möller ist die Hüteschäferei die einzig denkbare und erfüllende Arbeit. „Ich will nichts anderes.“ ***